Cinemathek: Son of Saul

Willkommen in der Cinemathek, heute mit: Son of Saul. Der Film lief am 10.03.2016 in den deutschen Kinos an.

Saul Ausländer ist ein ungarischer Jude, der ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht wurde und dort im Sonderkommando arbeitet. Seine Aufgabe ist es deportierte Juden zu vergasen und dann zu verbrennen. Doch eines Tages entdeckt er unter den Leichen einen Jungen, den er für seinen Sohn hält. Anstatt ihn zu verbrennen, will Saul ihn anständig begraben und sucht daher einen Rabbi, der das Kaddisch spricht.

Jeder Schüler in Deutschland verdrehte wohl mindestens einmal in seiner Schullaufbahn die Augen. Und zwar immer dann, wenn der Unterrichtsstoff wieder zum zweiten Weltkrieg und zum Holocaust führt. Die Aussage „Das ist so viele Jahre her, da war ich noch nicht einmal geboren. Wieso soll ich mich jetzt damit befassen und am Ende noch schuldig fühlen?“ ist wohl keine Seltenheit. Die Frage nach der eigenen Schuld soll hier nun aber nicht debattiert werden. Aber die Kräueltaten während des Holocaust bieten immer wieder Stoff für neue Filme. Und werden so immer wieder in die Köpfe der Menschen gedrückt, was gut ist. Son of Saul ist eine ungarische Produktion und gewann den Oscar als bester fremdsprachiger Film 2016. Gleichzeitig ist er wohl mit der schonungsloseste Film, der gar nicht primär die Taten der Deutschen verurteilt. Das muss er auch nicht, denn durch die Filmweise passiert das automatisch im Kopf der Zuschauer.
Der Film beginnt ohne große Einführung. Der Zuschauer bekommt lediglich die Erklärung eingeblendet, dass das sogenannte Sonderkommando eine ausgewählte Gruppe depotierter Juden ist, die von den Nazis gezwungen wurden im Konzentrationslager zu arbeiten. Dazu gehörte das Vergasen und anschließende Verbrennen anderer Juden. Nach ca. 5-6 Monaten wurde das Sonderkommando durch ein neues ersetzt und daher ebenfalls umgebracht. Während des gesamten Films bleibt der Zuschauer am Protagonisten Saul dran. Saul und das Sonerkommando führen depotierte Juden in einen Umkleideraum und sorgen dafür, dass sich alle entkleiden. Im Hintergrund hört man eine deutsche Stimme, die laut verkündet, dass alle zu duschen haben und das danach ein gutes Abendbrot auf sie warte. Die Juden werden in eine zweite Kammer geführt und die Türen werden verriegelt. Das Sonderkommando schafft inzwischen die Kleidung weg, allerdings nicht bevor sie auf Wertsachen durchsucht wurde. Im Hintergrund sind Schreie und das ununterbrochene Hämmern gegen die verriegelten Türen zu hören. Es gibt keine Erklärung, aber jeder im Kinosaal weiß: Die angebliche Dusche ist eine Gaskammer. Sobald die Riegel wieder geöffnet werden, muss das Sonderkommando die Leichen zum verbrennen transportieren. Dabei wird ein Junge gefunden, der die Vergasung wie durch ein Wunder überlebt hat. Das ganze interessierte die Nazi-Ärzte brennend, und so wird der Junge zwar direkt erstickt, aber gleichzeitig zur Obduktion gebracht. Saul meint jedoch den Jungen als seinen Sohn zu erkennen. Er rettet ihn vor der Obduktion und versteckt die Leiche in seinem Lager. Nun ist er auf der Suche nach einem Rabbi, der ihn hilft seinen Sohn zu begraben und gleichzeitig das Kaddisch für ihn spricht. Gleichzeitig gibt es Pläne im Sonderkommando, das Konzentrationslager abzufackeln und zu fliehen, da ihnen bewusst ist, dass auch sie bald sterben müssen.
In Filmen gibt es grundsätzlich zwei Arten dem Zuschauer etwas zu erklären. Entweder durch telling, also durch ein Gespräch die Handlung zu erklären, oder durch showing, also durch die bestimmte Szenen die Handlung zu erklären. Beide Arten werden in Son of Saul nicht angewandt. Dadurch muss der Zuschauer sich selbst das Gesehene und Gehörte zu einer Handlung zusammenreimen. Aber wie kann ein Film weder Erzählen noch Zeigen? Der Film zeigt grundsätzlich wenig vom Geschehen. Denn lediglich der Protagonist Saul ist klar zu erkennen. Alles andere ist verschwommen. Weitere Charaktere sind nur klar zu sehen, wenn Saul im direkt Kontakt mit ihnen ist, z. B. wenn er mit jemanden spricht. Das sorgt für einen klaren Blick auf die Handlung, denn Sauls Wege führen durch das komplette KZ und nicht gerade selten sind Berge von Leichen zu sehen. Durch lange Sequenzen, in der die Kamera einfach nur Saul folgt, wird eine grausame Situation geschaffen, in der der Zuschauer hauptsächlich die Geräusche wahrnimmt. Das bewirkt, dass man sich mitten im Geschehen fühlt, praktisch als wäre man die Kamera und folgt Saul vorbei an Gaskammern, Öfen und Leichenbergen. Auch wird im Film wenig gesprochen. Abgesehen von leisem Gemurmel unter den Mitgliedern des Sonderkommandos oder laut gebrüllte Befehle der Nazis, gibt es kaum Gespräche. Gleichzeitig werden im Film drei verschiedene Sprachen gesprochen: Ungarisch, deutsch und jiddisch. Der Film wird zwar untertitelt, aber doch ist es mitunter schwer zu folgen, wer jetzt genau was gesagt hat. So nimmt der Film den Zuschauer nicht an die Hand und erklärt sich, sondern lässt den Zuschauer praktisch sich selbst überlassen. So schafft es der Film keine Wertung zu hinterlassen. Die Zustände im KZ werden schonungslos und realitätsnah dargestellt, ohne den Zeigefinger zu heben und drohend auf die Deutschen zu zeigen: „Guck das sind die Bösen“. Diese Einstellung folgt unweigerlich im Kopf der Zuschauer, aber der Film selbst ist nicht wertend. Stattdessen wird ein Akt der Menschlichkeit dargestellt. Saul will trotz der Umstände seinem Sohn eine anständige Beerdigung bieten.
Ein wirklicher Spannungsbogen ist im Film nicht zu erkennen, aber dafür scheint hinter jeder Ecke oder in jeder Szene ein neues Gräuel zu warten. Wirklich durchatmen kann man erst, wenn der Abspann läuft und man merkt, dass man im Kino sitzt. Son of Saul ist ein Film, der trotz vieler verschwommener Bilder nachhaltig im Gedächtnis bleibt und so schnell keiner abschütteln kann. Die zweigleisige Handlung zwischen Sauls Bemühung der Beerdigung und der geplanten Rebellion des Sonderkommandos harmoniert und kann gut gleichzeitig erzählt werden, ohne das ein Handlungsstrang zu kurz kommt.
Géza Röhrig übernimmt die Rolle des Saul Ausländer. Dabei bleibt seine Mimik während des gesamten Films beinahe unverändert und doch sieht man in jeder Sekunde die Leere in seinen Augen, die man zwangsläufig bei seiner Arbeit fühlen muss. Dadurch, dass die Kamera praktisch pausenlos bei ihm bleibt, ist dies eine sehr gute schauspielerische Leistung.

Alles in allem ist Son of Saul ein Film, der in jeden Geschichtsunterricht gehört, da er schonungslos und realitätsnah ist und trotzdem ohne eigene Wertung auskommt. Dafür gibt es 07 von 10 möglichen Punkten.

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