Ein wenig Leben

Ein Vorwort

Wäre ich diesem Wälzer das erste Mal im Buchladen begegnet, ich hätte es wohl bewusst übersehen, da mich der Einband wenig angesprochen hätte. Doch manchmal stolpert man ja auch auf ganz kuriose Weise über neue Bücher. Diesmal passierte es tatsächlich während ich Queer Eye schaute und Antoni – einer der Fab 5 – ein T-Shirt trug, mit der Aufschrift Jude & Willem & Malcolm & JB. Ich startete also eine Internetsuche nach diesem Namen und stieß neben diversen Angeboten auch über ein Interview mit Antoni, wo er genau auf das T-Shirt angesprochen wurde. Seltsamerweise zeigte mir ein paar Tage später mein bester Freund seinen neuesten Fund aus der Buchhandlung. Es war ein wenig Leben. Ein wenig musste ich mich nun also noch gedulden, denn mein bester Freund wollte es natürlich zunächst selbst lesen. Doch dann durfte ich es mir ausleihen und wurde selbst in die Welt der vier Freunde hineingezogen.

Die Handlung

Die vier Freunde Willem, JB, Malcolm und Jude lernen sich am College kennen und auch noch Jahre später verbindet sie eine enge Freundschaft. Das Buch verfolgt ihre Leben über viele Jahre. Doch nach und nach öffnen sich die Abgründe aus Judes Vergangenheit, die er nie jemandem erzählen will.

Meine Meinung

Es ist schwierig das Buch in einer Inhaltsangabe zusammenzufassen. Denn auch wenn das Buch mit 960 Seiten ein richtiger Wälzer ist, gibt es keine klar erkennbare Handlungslinie. Stattdessen wird abwechselnd von einem anderen der vier Hauptcharaktere erzählt. Teilweise wird das Leben von mehrehren Wochen zusammengefasst, teilweise aber auch ein bestimmtes Ereignis oder ein Tag ganz ausführlich beschrieben. Dabei wird das Leben der vier Freunde in einem Zeitraum von circa 30 Jahren durchleuchtet mit allen Höhe- und Tiefpunkten. Von allen erfährt man auch ein bisschen Vor- und Familiengeschichte. Dabei wird schnell klar, dass Jude ein großes Geheimnis um seine Vergangenheit macht. Die Gründe dafür und auch, was ihm alles passiert ist, werden nach und nach erzählt. Somit liegt der Fokus des Buches durchaus auf seiner Figur und nimmt mit fortschreitendem Buch immer mehr Platz ein, während andere Charaktere immer weniger Platz bekommen.
Grundsätzlich finde ich, dass Autorin Hanya Yanagihara eine interessante Geschichte erzählt und auch wenn sie „nur“ einzelne Passagen aus dem Alltag beschreibt, durchaus auch eine erzählenswerte Geschichte erzählt. Dennoch sind 960 Seiten irgendwo einfach zu viel. Man merkt, wie man bei einzelnen Passagen tiefer in der Geschichte ist, als bei anderen. Mit fortschreitendem Buch kommt hinzu, dass bei Judes Lebensgeschichte wohl nach dem Motto „Wie viel kann ein Mensch ertragen“ gearbeitet wurde, als wie viel Leid ist noch realistisch. Das führt dazu, dass es einem mit fortschreitendem Buch immer schwerer fällt, dieses in die Hand zu nehmen und weiterzulesen. Zumal es einen selbst immer wieder mit hinunterzieht. Dennoch finde ich es gut, dass Frau Yanagihara hier scheinbare Tabuthemen offen anspricht und dies ohne Wertung in einer Geschichte erzählt, die die Tabuthemen immer wieder anreißt, sich aber vielmehr auf die Bewältigung des Traumas Jahre später noch konzentriert. Mit Jude hat sie einen Charakter geschaffen, mit dem man als Erwachsenen noch mitfühlt, dem man begreiflich machen möchte, dass er wertvoll ist.

Das Fazit

Ein wenig Leben ist ein Buch ohne klaren Handlungsfaden, was man mögen muss, aber dafür mit starken Charakteren, die über 30 Jahre begleitet werden. Dabei werden absolute Tabuthemen angesprochen, aber respektvoll behandelt. Definitiv kein glücklich machendes Buch, dafür aber ein wichtiges.

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